Dienstag, 10. Juli 2018

07.07.18 Kashgar


Nun ist der letzte Grenzübertritt definitiv hinter uns.  Kashgar ist eine Stadt im Belagerungszustand. Ich schätze, dass auf 10 Bewohner ein Polizist kommt. An jeder Strassenecke, vor jedem Geschäfts- oder Parkeingang lauert ein Polizeiposten, die Ausweise haben wir auf dem Weg von der Grenze bis zur Stadt gewiss schon 10 Mal gezeigt. Das Procedere beim Einführen der Autos wird Doris separat schildern. Die Situation in diesem Teil Chinas ist nur mit jener in Rhodesien vor der Machtübernahme durch die schwarze Mehrheit zu vergleichen, wie wir sie 1978 erlebt haben. Der Vergleich ist nicht so abwegig, stehen sich doch eine grosse uighurische Mehrheit und eine kolonisierende Han-chinesische Minderheit gegenüber. Mit sozialistischer Brille ist dies natürlich eine Befreiung aus der barbarischen Vergangenheit.

Nach Tashkent überquerten wir einen ersten Pass, der uns in das fruchtbare Ferghana-Tal führte. Die Bezeichnung «Tal» ist für unsere Begriffe allerdings etwas irreführend: Dieses erstreckt sich über eine Fläche des ganzen Schweizerischen Mittellandes und ist bis auf die gebirgigen Ränder weitgehend flach. Ausgedehnte Bewässerungsanlagen sorgen für grosse, ertragsreiche Fruchtfolgeflächen. Das Wasser stammt aus den umliegenden Bergen und dem grossen Fluss Syrdarya, welcher ebenfalls früher den Aralsee speiste. Im Hotel in Ferghana trafen wir einen Schweizer Unternehmer, welcher im Auftrag des DEZA die Bewässerungssysteme erfasst und Vorschläge zur Optimierung erarbeitet, zusammen mit einheimischen Fachkräfte. Er schilderte uns die eindrücklichen Ausmasse von 10'000 km Kanälen mit feinster Verteilung, welche seit hunderten von Jahren funktionieren, aber auch von den grossen Leistungen aus der Sowjetzeit. Die Russen haben für eine weitgehende Alphabetisierung der Bevölkerung gesorgt und auch die hintersten Täler mit Elektrizität versorgt. Auch ihm war allerdings bewusst, dass mit den Bewässerungsanlagen und dem steigernden Wasserbedarf grosse ökologische Folgen entstanden. Da er in vielen Teilen der Welt im Einsatz war, kam er aber doch zur Erkenntnis, dass hier nachhaltiger gedacht wird. Nur das Oberflächenwasser, nicht das Grundwasser wird für die Bewässerung angezapft, dieses bleibt als Trinkwasserreserve auch langfristig erhalten. Da habe er vor allem bei den Chinesen anderes Verhalten gesehen.

Nächstes Ziel war die Hochebene von Sary Tash auf ungefähr 3'200 m. ü. M. Die kurvenreiche Passstrasse führte über 3'650 m in dieses einsame Dorf am Rande einer baumlosen Ebene am Fusse der Bergriesen des Pamir-Gebirges. Der höchste Gipfel liegt 7'134 m über Meer! Wir übernachteten bei einer Familie in ihrem Wohnhaus auf einfachen Pritschen am Boden und wurden in einem Nomadenzelt köstlich verpflegt. Die Katzenwäsche erfolgte im Freien, das Plumpsklo endete irgendwo in einer Vertiefung, also wie früher im Pfadilager. Erstaunlicherweise fühlten sich alle besser, auch die lästigen Verdauungsstörungen fanden bei den meisten ein Ende, vermutlich wegen des geänderten Klimas. Die gesendeten Fotos zeugen von der einmaligen Pracht der Hochgebirgslandschaft am folgenden frühen Morgen. Der Grenzübertritt folgte in vielen langen Schritten. Bei der Ausreise aus Kirgistan wurde der Inhalt der Koffer erstmals kontrolliert. Zur Nachfrage von Doris, weshalb denn bei der Aus- und nicht bei der Einreise so pingelig kontrolliert würde, meinte der Zöllner schmunzelt, die Kollegen am Einreisezoll seien etwas gar schluddrig! Ausreise geschafft. Der eigentliche Zoll in China liegt über 100 km von der Grenze entfernt. Es ist schon gewöhnungsbedürftig, all die Kontrollen über sich zu ergehen lassen, wenn man sich an die Abfertigung in Beijing gewöhnt ist, wo diese nicht länger als irgend in einem europäischen Land dauert. Nachdem die kirgisischen Grenzbeamten schon mit mehreren Posten immer wieder die gleichen Passkontrollen durchgeführt hatten, empfingen uns die Chinesen mit strammstehenden Polizisten mit Schlagstöcken und kugelsicheren Westen. Allerdings trugen die wenigsten Schusswaffen. Umso drolliger wirkte die Wachtablösung mit Präsentation der Holzstöcke! Photos sind in der Grenzzone nicht erlaubt, deshalb können wir die Bilder der farbenfrohen und wuchtigen Kraterlandschaft mit hohen zerklüfteten Bergwände nur schildern, ein weiteres einmaliges Erlebnis!

Am Zoll mussten wir die Fahrzeuge zurücklassen (sie waren ja noch nicht verzollt und eingeführt und wir CH- und internationalen persönliche Fahrausweise in China nicht gültig) und unser gesamtes Gepäck mit einem rostigen Bus nach Kashgar schleppen, eine weitere Fahrt von 2 Stunden und mehreren mühsamen Grenzkontrollen. So wurden z.B. die IMI-Nummer unsere Natel’s registriert – nicht aber die der IPads und Tablets!, unsere Pässe ein weiteres Mal fotografiert, obwohl wir schon vorher mehrmals durch Kontrollen inklusive Abnahme der Fingerabdrücke gegangen waren. Der Freitag empfing uns mit ausgiebigen Regenschauern, eine Seltenheit in dieser Gegend (meine Eigenschaft als Regenmacher hat sich wieder einmal bewährt!). Wir Fahrer und Hilfsfahrer mussten uns einem medical Check unterziehen, welcher allerdings lediglich darin bestand, eine weitere Foto von uns zu machen. Einzig unsere Reiseleiterin, als Nichtbrillenträgerin, musste noch einen einfachen Sehtest über sich ergehen lassen, bei uns Brillentragenden gingen sie wohl davon aus, dass diese nicht nur zur Dekoration dienen. Mit Datenerfassung dauerte dies etwa 2 Stunden. Worauf sich die Reisegruppe nochmals trennte. Weiter ging die Fahrt für die Zurückgebliebenen ins Strassenverkehrsamt, welches 1 Stunde ausserhalb der Stadt liegt. Dort wurde uns mitgeteilt, dass alles schon erledigt sei und wir den Fahrausweis später erhalten werden. So fuhren wir Hilfsfahrer wieder zurück in die Stadt, während vier Fahrer und Zhang, unser Guide, die Fahrzeuge einführen und einlösen mussten. Die damit verbundenen Erlebnisse schildert uns Doris:

Für uns ging es also mit einem 6-Plätzer zurück an den Ort, wo wir gestern unsere Autos zurückliessen, gut 2 Stunden Rückfahrt mit erneuten Passkontrollen. Einige davon gingen kürzer, weil man sich noch daran erinnerte, dass wir gestern schon in umgekehrter Richtungen durchgekommen und gründlich durchgecheckt wurden. So auch bei der Telefonerfassungsstation. Dies alles bei sintflutartigen Regenfällen. Vielleicht haben wir es auch dem Wettergott zu verdanken, dass die Kontrollfreude etwas gedämpft war – der Hellebardier bei der Telefonkontrollstation sah ziemlich erbärmlich und verfroren aus. Noch vor wir unsere Autos wieder gefasst hatten, hörte der Regen auf und das Abenteuer ging weiter. Kurz nach der Ausfahrt aus der Quarantäne eine erste umfassende Pass- und Autokontrolle, Dauer etwa eine Stunde. Pässe, Autonummern und Chassis Nummern werden umfassend geprüft und schriftlich und fotographisch dokumentiert. Als es endlich weiterging hielten mich die fünf Polizisten/Grenzwächter nochmals auf fragten nach, ob wir wirklich aus Germania kämen – dies nachdem sie eine Stunde lang unsere CH-Pässe von vorne nach hinten begutachtet hatten. Mein Versuch, ihnen auf Chinesisch und auf der Karte, die auf unserem Auto aufgeklebt ist, zu erklären wir kämen aus «Ruisha» fruchtete nichts, da es sich um Uighuren oder Angehörige von anderen Turk-Minderheiten handelte, «Schiwizaria» haben sie dann verstanden, gestrahlt und uns losgeschickt. Die Telefonübung blieb uns zum Glück ein zweites Mal erspart und nach einer weiteren kurzen Passkontrolle (Zhang sei Dank), sind wir kurz 15.00h bei der MFK rund eine Stunde ausserhalb Kashgars eingetroffen. Siesta Time bis 16.30h, vorher ein erneuter Check der Chassisnummern, welche nicht nur auf dem Täfeli vorne im Kühler, sondern auch noch an einem versteckten Oertli eingemeisselt sind, bei allen 5 Autos diesen «Fingerprint» rubbeln, dann eine Siesta vor dem Amt in einer typisch chinesischen Gassenküche (Pilaw und Nudeln schmeckten ausgezeichnet). Claudia und ich ziehen es aber vor, unser Pipi pfadimässig hinter den Büschen zu erledigen, die Toilette war für uns Europäer schlicht nicht benutzbar.

Um 16.30h geht hier in Kashgar das Leben wieder los. Zhang uns seine Agentur haben alle Dokumente in x-facher Ausführung vorbereitet, trotzdem will es nicht recht weitergehen. Es herrscht grosse Aufregung. Unsere Hoffnung, dass wir schlank durch diesen Autocheck kommen schwindet. Zuerst müssen alle Autos durch die Prüfstrasse, etwas einfacher in der Ausstattung als in Schafisheim, aber mit allem ausgestattet: Bremsprüfstand, Lenkgeometrie, Lichtkontrolle (mir schwante Böses, weil uns der Garagist in Tashkent vor ein paar Tagen eindrücklich gewarnt hatte, unsere Bremsbeläge seien nicht mehr gut und müssten ersetzt werden – offensichtlich wollte er uns aber nur neue Bremsbeläge verkaufen – die Chinesen haben jedenfalls nichts beantstandet). Alles i.O. also, aber ohalätz, nach der Ausfahrt aus der Prüfhalle – es war schon gut 17.30h – befinden wir uns einer Schlange von 25-30 Autos, die auf die Weiterbearbeitung warten. Nach einer Intervention von Zhang können wir diese umfahren und befinden uns wieder am Ausgangsort von 16.30h, warten, umrangieren, warten und plötzlich geht es vorwärts – fasst wie im Militär, seckle, warte, seckle. Die Fahrt geht aber lediglich um den Block und von hinten wieder ins gleiche Amt rein. Zu früh gefreut. Autos parkieren und warten auf Godot bei 30° am Schatten. Wir finden ein Plätzli in einer Schalterhalle, es ist nun 18.15h und wir groggy: Claudia legt sich auf den Boden und legt ihre schmerzenden Beine hoch, Nick träumt selig sitzend auf einem Stuhl und Stephan schnarcht ausgestreckt auf einem Bänkli. Urplötzlich stehen vier Polizisten mit Schlagstöcken vor uns und herrschen und unfreundlich an, wir schrecken und werden alle vier in ihrem Dienstraum in Gewahrsam genommen – dort sehen wir denn auch auch, dass es eine Videoüberwachung der Halle gibt. Was man uns vorwirft, ist mir nicht klar, schlafen doch die Chinesen bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Zum Glück tauchen Zhang uns seine Assistentin auf und können die Situation entschärfen – mit dem üblichen lauten und gestenreichen Wortwechsel der Chinesen. Also zurück zu den Autos: oh jemine, diese wurden in der Zwischenzeit mit rot-weissen Reflektoren auf der Hecktüre und der Stossstange «verschönert», mit der Begründung, die Beleuchtung der handelsüblichen Pajeros, die alle schon 2x in China waren mit anderen Expeditionen, sei ungenügend. Nochmals Motorhaube auf, nochmals die Chassisnummer fotographiert, nochmals die Bremsscheiben mit einem manuellen Gerät geprüft, dann dürfen wir endlich weiter zum Amt, welches die Ausweise ausstellen wird, mittlerweile ist es nach halb sieben. Wir parkieren um 18.45h vor dem Amt – warten an der brütenden Sonne. Wir befürchten Schlimmes: der Feierabend in China naht (20.30h), es ist Freitagabend und das Wochenende steht vor der Tür. Die Ämter haben erst am Montag wieder offen. Nach fast 2 Stunden kommt Zhang mit den Fahrauseisen der A- und B-Fahrer (das ist die gute Nachricht), mit den neuen Nummern für die Fahrzeuge dauere es aber noch eine Weile (das ist die schlechte Nachricht). Die Beamten würden aber freiwillig Überstunden machen, er bleibe dort und werde dann irgendwann mal mit den Nummern zurück ins Hotel kommen. Die 4 Fahrer nehmen müde aber mit vielen Eindrücken bereichert den einstündigen Rückweg unter die Räder und treffen nach 23h im Hotel ein, Zhang hat es dann bis ein Uhr morgens auch geschafft. Ein 14stündiger Tag, den wir nie mehr vergessen werden: viel Nachdenkliches, vieles zum Lachen, ein gute Übung in Gelassenheit und sich ins Schicksal ergeben. Im Hotel sind wir dann wieder auf den Rest der Mannschaft getroffen und haben bei einem Glas Wein und etwas zu essen den Tag ausklingen lassen. Zum Glück kam ja am Schluss alles gut, unsere Weiterreise verzögert sich nicht, wir können programmgemäss weiterfahren. Am Samstag wurden unsere Autos dann nochmals einer Inspektion in der Garage unterzogen. So sind wir also für die Taklamakan Wüste gerüstet.

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