Nun ist der letzte Grenzübertritt definitiv hinter uns. Kashgar ist eine Stadt im Belagerungszustand.
Ich schätze, dass auf 10 Bewohner ein Polizist kommt. An jeder Strassenecke,
vor jedem Geschäfts- oder Parkeingang lauert ein Polizeiposten, die Ausweise
haben wir auf dem Weg von der Grenze bis zur Stadt gewiss schon 10 Mal gezeigt.
Das Procedere beim Einführen der Autos wird Doris separat schildern. Die
Situation in diesem Teil Chinas ist nur mit jener in Rhodesien vor der
Machtübernahme durch die schwarze Mehrheit zu vergleichen, wie wir sie 1978
erlebt haben. Der Vergleich ist nicht so abwegig, stehen sich doch eine grosse uighurische
Mehrheit und eine kolonisierende Han-chinesische Minderheit gegenüber. Mit
sozialistischer Brille ist dies natürlich eine Befreiung aus der barbarischen
Vergangenheit.
Nach Tashkent überquerten wir einen ersten Pass, der uns in
das fruchtbare Ferghana-Tal führte. Die Bezeichnung «Tal» ist für unsere
Begriffe allerdings etwas irreführend: Dieses erstreckt sich über eine Fläche
des ganzen Schweizerischen Mittellandes und ist bis auf die gebirgigen Ränder
weitgehend flach. Ausgedehnte Bewässerungsanlagen sorgen für grosse,
ertragsreiche Fruchtfolgeflächen. Das Wasser stammt aus den umliegenden Bergen
und dem grossen Fluss Syrdarya, welcher ebenfalls früher den Aralsee speiste.
Im Hotel in Ferghana trafen wir einen Schweizer Unternehmer, welcher im Auftrag
des DEZA die Bewässerungssysteme erfasst und Vorschläge zur Optimierung
erarbeitet, zusammen mit einheimischen Fachkräfte. Er schilderte uns die
eindrücklichen Ausmasse von 10'000 km Kanälen mit feinster Verteilung, welche
seit hunderten von Jahren funktionieren, aber auch von den grossen Leistungen
aus der Sowjetzeit. Die Russen haben für eine weitgehende Alphabetisierung der
Bevölkerung gesorgt und auch die hintersten Täler mit Elektrizität versorgt.
Auch ihm war allerdings bewusst, dass mit den Bewässerungsanlagen und dem
steigernden Wasserbedarf grosse ökologische Folgen entstanden. Da er in vielen
Teilen der Welt im Einsatz war, kam er aber doch zur Erkenntnis, dass hier
nachhaltiger gedacht wird. Nur das Oberflächenwasser, nicht das Grundwasser
wird für die Bewässerung angezapft, dieses bleibt als Trinkwasserreserve auch
langfristig erhalten. Da habe er vor allem bei den Chinesen anderes Verhalten
gesehen.
Nächstes Ziel war die Hochebene von Sary Tash auf ungefähr
3'200 m. ü. M. Die kurvenreiche Passstrasse führte über 3'650 m in dieses
einsame Dorf am Rande einer baumlosen Ebene am Fusse der Bergriesen des
Pamir-Gebirges. Der höchste Gipfel liegt 7'134 m über Meer! Wir übernachteten
bei einer Familie in ihrem Wohnhaus auf einfachen Pritschen am Boden und wurden
in einem Nomadenzelt köstlich verpflegt. Die Katzenwäsche erfolgte im Freien,
das Plumpsklo endete irgendwo in einer Vertiefung, also wie früher im
Pfadilager. Erstaunlicherweise fühlten sich alle besser, auch die lästigen Verdauungsstörungen
fanden bei den meisten ein Ende, vermutlich wegen des geänderten Klimas. Die
gesendeten Fotos zeugen von der einmaligen Pracht der Hochgebirgslandschaft am
folgenden frühen Morgen. Der Grenzübertritt folgte in vielen langen Schritten. Bei
der Ausreise aus Kirgistan wurde der Inhalt der Koffer erstmals kontrolliert.
Zur Nachfrage von Doris, weshalb denn bei der Aus- und nicht bei der Einreise
so pingelig kontrolliert würde, meinte der Zöllner schmunzelt, die Kollegen am
Einreisezoll seien etwas gar schluddrig! Ausreise geschafft. Der eigentliche
Zoll in China liegt über 100 km von der Grenze entfernt. Es ist schon
gewöhnungsbedürftig, all die Kontrollen über sich zu ergehen lassen, wenn man
sich an die Abfertigung in Beijing gewöhnt ist, wo diese nicht länger als
irgend in einem europäischen Land dauert. Nachdem die kirgisischen Grenzbeamten
schon mit mehreren Posten immer wieder die gleichen Passkontrollen durchgeführt
hatten, empfingen uns die Chinesen mit strammstehenden Polizisten mit Schlagstöcken
und kugelsicheren Westen. Allerdings trugen die wenigsten Schusswaffen. Umso
drolliger wirkte die Wachtablösung mit Präsentation der Holzstöcke! Photos sind
in der Grenzzone nicht erlaubt, deshalb können wir die Bilder der farbenfrohen
und wuchtigen Kraterlandschaft mit hohen zerklüfteten Bergwände nur schildern,
ein weiteres einmaliges Erlebnis!
Am Zoll mussten wir die Fahrzeuge zurücklassen (sie waren ja
noch nicht verzollt und eingeführt und wir CH- und internationalen persönliche
Fahrausweise in China nicht gültig) und unser gesamtes Gepäck mit einem
rostigen Bus nach Kashgar schleppen, eine weitere Fahrt von 2 Stunden und mehreren
mühsamen Grenzkontrollen. So wurden z.B. die IMI-Nummer unsere Natel’s
registriert – nicht aber die der IPads und Tablets!, unsere Pässe ein weiteres
Mal fotografiert, obwohl wir schon vorher mehrmals durch Kontrollen inklusive
Abnahme der Fingerabdrücke gegangen waren. Der Freitag empfing uns mit
ausgiebigen Regenschauern, eine Seltenheit in dieser Gegend (meine Eigenschaft
als Regenmacher hat sich wieder einmal bewährt!). Wir Fahrer und Hilfsfahrer
mussten uns einem medical Check unterziehen, welcher allerdings lediglich darin
bestand, eine weitere Foto von uns zu machen. Einzig unsere Reiseleiterin, als
Nichtbrillenträgerin, musste noch einen einfachen Sehtest über sich ergehen
lassen, bei uns Brillentragenden gingen sie wohl davon aus, dass diese nicht
nur zur Dekoration dienen. Mit Datenerfassung dauerte dies etwa 2 Stunden. Worauf
sich die Reisegruppe nochmals trennte. Weiter ging die Fahrt für die
Zurückgebliebenen ins Strassenverkehrsamt, welches 1 Stunde ausserhalb der
Stadt liegt. Dort wurde uns mitgeteilt, dass alles schon erledigt sei und wir
den Fahrausweis später erhalten werden. So fuhren wir Hilfsfahrer wieder zurück
in die Stadt, während vier Fahrer und Zhang, unser Guide, die Fahrzeuge
einführen und einlösen mussten. Die damit verbundenen Erlebnisse schildert uns
Doris:
Für uns ging es also mit einem 6-Plätzer zurück an den Ort,
wo wir gestern unsere Autos zurückliessen, gut 2 Stunden Rückfahrt mit erneuten
Passkontrollen. Einige davon gingen kürzer, weil man sich noch daran erinnerte,
dass wir gestern schon in umgekehrter Richtungen durchgekommen und gründlich
durchgecheckt wurden. So auch bei der Telefonerfassungsstation. Dies alles bei
sintflutartigen Regenfällen. Vielleicht haben wir es auch dem Wettergott zu
verdanken, dass die Kontrollfreude etwas gedämpft war – der Hellebardier bei
der Telefonkontrollstation sah ziemlich erbärmlich und verfroren aus. Noch vor
wir unsere Autos wieder gefasst hatten, hörte der Regen auf und das Abenteuer
ging weiter. Kurz nach der Ausfahrt aus der Quarantäne eine erste umfassende
Pass- und Autokontrolle, Dauer etwa eine Stunde. Pässe, Autonummern und Chassis
Nummern werden umfassend geprüft und schriftlich und fotographisch
dokumentiert. Als es endlich weiterging hielten mich die fünf
Polizisten/Grenzwächter nochmals auf fragten nach, ob wir wirklich aus Germania
kämen – dies nachdem sie eine Stunde lang unsere CH-Pässe von vorne nach hinten
begutachtet hatten. Mein Versuch, ihnen auf Chinesisch und auf der Karte, die
auf unserem Auto aufgeklebt ist, zu erklären wir kämen aus «Ruisha» fruchtete
nichts, da es sich um Uighuren oder Angehörige von anderen Turk-Minderheiten handelte,
«Schiwizaria» haben sie dann verstanden, gestrahlt und uns losgeschickt. Die
Telefonübung blieb uns zum Glück ein zweites Mal erspart und nach einer
weiteren kurzen Passkontrolle (Zhang sei Dank), sind wir kurz 15.00h bei der
MFK rund eine Stunde ausserhalb Kashgars eingetroffen. Siesta Time bis 16.30h, vorher
ein erneuter Check der Chassisnummern, welche nicht nur auf dem Täfeli vorne im
Kühler, sondern auch noch an einem versteckten Oertli eingemeisselt sind, bei
allen 5 Autos diesen «Fingerprint» rubbeln, dann eine Siesta vor dem Amt in
einer typisch chinesischen Gassenküche (Pilaw und Nudeln schmeckten
ausgezeichnet). Claudia und ich ziehen es aber vor, unser Pipi pfadimässig
hinter den Büschen zu erledigen, die Toilette war für uns Europäer schlicht
nicht benutzbar.
Um 16.30h geht hier in Kashgar das Leben wieder los. Zhang
uns seine Agentur haben alle Dokumente in x-facher Ausführung vorbereitet,
trotzdem will es nicht recht weitergehen. Es herrscht grosse Aufregung. Unsere
Hoffnung, dass wir schlank durch diesen Autocheck kommen schwindet. Zuerst
müssen alle Autos durch die Prüfstrasse, etwas einfacher in der Ausstattung als
in Schafisheim, aber mit allem ausgestattet: Bremsprüfstand, Lenkgeometrie,
Lichtkontrolle (mir schwante Böses, weil uns der Garagist in Tashkent vor ein
paar Tagen eindrücklich gewarnt hatte, unsere Bremsbeläge seien nicht mehr gut
und müssten ersetzt werden – offensichtlich wollte er uns aber nur neue
Bremsbeläge verkaufen – die Chinesen haben jedenfalls nichts beantstandet).
Alles i.O. also, aber ohalätz, nach der Ausfahrt aus der Prüfhalle – es war
schon gut 17.30h – befinden wir uns einer Schlange von 25-30 Autos, die auf die
Weiterbearbeitung warten. Nach einer Intervention von Zhang können wir diese
umfahren und befinden uns wieder am Ausgangsort von 16.30h, warten,
umrangieren, warten und plötzlich geht es vorwärts – fasst wie im Militär,
seckle, warte, seckle. Die Fahrt geht aber lediglich um den Block und von
hinten wieder ins gleiche Amt rein. Zu früh gefreut. Autos parkieren und warten
auf Godot bei 30° am Schatten. Wir finden ein Plätzli in einer Schalterhalle,
es ist nun 18.15h und wir groggy: Claudia legt sich auf den Boden und legt ihre
schmerzenden Beine hoch, Nick träumt selig sitzend auf einem Stuhl und Stephan
schnarcht ausgestreckt auf einem Bänkli. Urplötzlich stehen vier Polizisten mit
Schlagstöcken vor uns und herrschen und unfreundlich an, wir schrecken und
werden alle vier in ihrem Dienstraum in Gewahrsam genommen – dort sehen wir
denn auch auch, dass es eine Videoüberwachung der Halle gibt. Was man uns
vorwirft, ist mir nicht klar, schlafen doch die Chinesen bei jeder sich
bietenden Gelegenheit. Zum Glück tauchen Zhang uns seine Assistentin auf und
können die Situation entschärfen – mit dem üblichen lauten und gestenreichen
Wortwechsel der Chinesen. Also zurück zu den Autos: oh jemine, diese wurden in
der Zwischenzeit mit rot-weissen Reflektoren auf der Hecktüre und der
Stossstange «verschönert», mit der Begründung, die Beleuchtung der
handelsüblichen Pajeros, die alle schon 2x in China waren mit anderen
Expeditionen, sei ungenügend. Nochmals Motorhaube auf, nochmals die
Chassisnummer fotographiert, nochmals die Bremsscheiben mit einem manuellen
Gerät geprüft, dann dürfen wir endlich weiter zum Amt, welches die Ausweise
ausstellen wird, mittlerweile ist es nach halb sieben. Wir parkieren um 18.45h
vor dem Amt – warten an der brütenden Sonne. Wir befürchten Schlimmes: der
Feierabend in China naht (20.30h), es ist Freitagabend und das Wochenende steht
vor der Tür. Die Ämter haben erst am Montag wieder offen. Nach fast 2 Stunden
kommt Zhang mit den Fahrauseisen der A- und B-Fahrer (das ist die gute
Nachricht), mit den neuen Nummern für die Fahrzeuge dauere es aber noch eine
Weile (das ist die schlechte Nachricht). Die Beamten würden aber freiwillig Überstunden
machen, er bleibe dort und werde dann irgendwann mal mit den Nummern zurück ins
Hotel kommen. Die 4 Fahrer nehmen müde aber mit vielen Eindrücken bereichert
den einstündigen Rückweg unter die Räder und treffen nach 23h im Hotel ein,
Zhang hat es dann bis ein Uhr morgens auch geschafft. Ein 14stündiger Tag, den
wir nie mehr vergessen werden: viel Nachdenkliches, vieles zum Lachen, ein gute
Übung in Gelassenheit und sich ins Schicksal ergeben. Im Hotel sind wir dann
wieder auf den Rest der Mannschaft getroffen und haben bei einem Glas Wein und
etwas zu essen den Tag ausklingen lassen. Zum Glück kam ja am Schluss alles
gut, unsere Weiterreise verzögert sich nicht, wir können programmgemäss
weiterfahren. Am Samstag wurden unsere Autos dann nochmals einer Inspektion in
der Garage unterzogen. So sind wir also für die Taklamakan Wüste gerüstet.
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